September 21, 2015Keine Kommentare

Tÿpo St.Gallen: Tempo

 

SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015
(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

Tempo: ein zentraler Aspekt für jede/n Gestalter/in und jeden Kunden; wie lange dauert die Konzeption einer Website? Wieviele Tage für den Entwurf eines Logos? Wann ist die Broschüre fertig? Am liebsten gestern ... Tools werden immer effizienter, Prozesse schneller, Budgets knapper. Hast du Zeit? Nein, heute nicht, ... und morgen ... - Wir haben die Zeit an die grauen Herren verloren. Und bis dieser Blogartikel online ist, ist die Tÿpo St.Gallen schon wieder vorbei und die Welt hat die schrägsten Fotos und witzigsten Quotes der vergangenen drei Tage längst geliked und retweeted.

Die Kommunikationskanäle stehen jedem offen, noch nie war es so leicht seine Gedanken einem weltweiten Publikum mitzuteilen. Aber wie können wir aus den immer höher wachsenden Bergen von Publikationen noch Produkte mit Qualität erkennen? "Durch den Inhalt." sagt Bernd Kuchenbeiser. Nur wenn es eine Botschaft gibt, die uns berührt, behalten wir sie auch in Erinnerung. Und wo ist Momo? Auf der Bühne: Dafi Kühne lässt sich nicht von automatisierten Prozessen beeindrucken: Er nimmt sich die Zeit, die er braucht für seine handgemachten Plakate und gibt uns Farbe zurück.


Bernd Kuchenbeiser

Kuchenbeiser studierte zuerst Musik, dann Kommunikationsdesign. Im Musikstudium sei sein visueller Output stärker gewesen als der akustische, daher hat er das Fach gewechselt. In seiner aktuellen Gestaltung ist zwar Musik nicht mehr zu hören, aber nach wie vor zu spüren: fein abgestimmte Tonalitäten, spannende Rhythmen, klare Kompositionen prägen seine Werke.

Kuchenbeiser liebt Bücher, vorzugsweise reduziert auf schwarz und weiss. „A good book" ist eine Webgalerie, auf welcher er ein Archiv “guter” Bücher angelegt hat und hinterfragt, was ein gutes Buch überhaupt ausmacht. Er liebt auch Indexe und er liebt Listen. Jedes seiner gestalteten Bücher hat er nach einer Struktur konzipiert die klar, aber nicht banal ist. “Gestaltung ist ein Versprechen,” sagt er, “der Inhalt muss dieses Versprechen auch halten.”

kuchenbeiser.de


Dafi Kühne

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Der jüngste Sprecher des ersten Konferenztages arbeitet mit der klassischsten Methode: Dafi Kühne setzt Text aus Holz- und Bleilettern, schneidet Linol und Karton und legt all das, und was ihm zum richtigen Zeitpunkt sonst noch in die Finger kommt, unter die Druckpresse. Das können auch ein Tischtennisnetz oder magnetische Plastikbuchstaben sein und wenn diese im Druck seitenverkehrt erscheinen, nutzt er eben ein J um ein L zu erhalten. Seine Plakate sind nicht nur ästhetisch sondern auch intelligent und witzig. Baby ink twice!


Hahn & Zimmermann

SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015
(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

In ihrer gemeinsamen Diplomarbeit an der HKB Bern haben sie Daten über sich und ihre Arbeit gesammelt, ausgewertet und visualisiert: von B und C. Danach haben sie ihr gemeinsames Büro Hahn und Zimmermann gegründet und machen seit acht Jahren immernoch dasselbe: Sammeln, Auswerten, Visualisieren. Sogar wenn ihnen komplett freie Hand gelassen wird, wie für ein Plakat für die Soirée Graphique, erstellen sie eine Infografik: in diesem Fall eine Übersicht der Gestaltungsmethoden aller Plakate für die Soirée Graphique zwischen 2008 und 2014. Auch die Inhalte ihres Vortrags haben sie passend zum Konferenzthema nach Projektdauer sortiert und als Balkendiagramm dargestellt. Das ist aber auch das einzige konventionelle Diagramm, das in dieser Stunde zu sehen ist. Auf immer wieder neue Art visualisieren die beiden Designerinnen Inhalte nicht nur verständlich sondern auch unterhaltsam.

Im Projekt FAQ – Frequently Asked Questions – sammeln sie häufig gestellte Fragen und lösen diese vom Kontext, z. B. "How do I remove a friend?", “Warum verschwinden meine Kontakte?” oder “Wo finde ich die Suche?" In einem Postkartenbuch zusammengefasst, können die Fragen herausgetrennt und von der digitalen in die reale Welt geschickt werden. Die Fragen der Masse werden zu persönlichen Fragen, sie regen zur philosophischen Auseinandersetzung an.

hahn-zimmermann.ch


Tag II der Tÿpo St.Gallen steht im Namen der Technik. Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ist in aller Munde: Roboter sollen zukünftig nicht nur in der Produktion sondern auch in der Pflege eingesetzt werden, sie kaufen für uns ein und steuern unsere Fahrzeuge, sie optimieren Prozesse und beschleunigen sie – wo wir wieder beim Thema Tempo wären…

 

François Chastanet

Chastanet

Nicht viel aus Geschwindigkeit machen sich jedoch die von François Chastanet porträtierten Kalligrafen in China: Sie nutzen den öffentlichen Raum als Grundfläche für ihre Gestaltung. Dabei dient der kreative Prozess allein dem Selbstzweck: In dieser chinesischen Version der Streetart gibt es keine Auflehnung, die Texte sind “neutral” (meist Gedichte), die Spur auf dem Boden verschwindet von alleine wieder, es wird mit Wasser geschrieben. Inmitten der Grossstadt lassen sich die Kalligrafen nicht von der Hektik des Alltags beeindrucken. Während alles nach vorne strebt, gehen sie rückwärts um von oben nach unten Zeichen um Zeichen aneinander zu reihen. Meistens ist der Anfang ihres Textes schon verblasst, noch bevor sie ihn fertiggeschrieben haben. Der Weg ist das Ziel, das Tempo spielt keine Rolle.

francoischastanet.com


Thilo von Debschitz

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Aus China zurück nach Europa … Thilo von Debschitz nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die Weimarer Republik und in die Welt des Dr. Fritz Kahn. Kahn ist der Schöpfer faszinierender Infografiken, die Anhand von Landschaften und Maschinen anatomische Prozesse auf unterhaltsame und für Laien verständliche Art sichtbar machen. So stellte er etwa die Verarbeitung von Bildern im Auge und Hirn als Kino dar oder den Stimmapparat als Orgel. Der Mensch wird als Maschine erklärt, die einfach genug ist, dass er sie selbst verstehen kann.

q-gmbh.de


Kai Bernau

SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015
(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

bernau

Von der Vergangenheit auf in die Zukunft: Für das Sandberg Institut haben Carvalho und Bernau zusammen mit dem Designbüro Lust die parametrische Schrift Bill konzipiert. Bill ist mehr als ein Schriftentwurf, Bill ist ein System, ein Gerüst, welches der Kreation einer beliebigen Anzahl Schriften zugrunde liegt. Jeder Student und jeder Angestellte kann seinen eigenen Font im Browser gestalten und herunterladen. Die Fontproduktion wird somit jedermann zugänglich gemacht, die Maschine erlaubt ein Rendering in Echtzeit und in kürzester Zeit einen Output, dessen Umfang analog so niemals möglich wäre.

Auch für Octavo Publicaties erarbeiteten Carvalho und Bernau ein System, das clever genug ist, dass die Umsetzung dem Computer überlassen werden kann. Das Resultat ist ein visueller Rahmen für die Edition und eine individuelle Gestaltung für jedes Buch. Über ein InDesign-Plugin kann der Verlag das Layout von Neuerscheinungen selbst generieren. Aufgrund des vorgegebenen Systems wird jeder Band in die Reihe passen. Das Gestaltungsprinzip für alle weiteren Bände ist klar, die Umsetzung automatisiert, Kosten werden gespart.

carvalho-bernau.com


Rokfor

SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015

(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

Eine Redakteurin, ein Grafiker und ein Programmierer, 3 Monitore, 2 Rechner, 1 Mikrofon. Und was machen die? Bücher? Die Frage stellt sich eher nach dem wie, und das ist auch das Spannende an der Arbeit des Trios. Sie sezieren Texte um diese anschliessend neu zu ordnen und generieren Layouts anhand von Algorithmen.

Ab einem gewissen Punkt übergeben sie also das Zepter an die Maschine und akzeptieren damit ihren eigenen Kontrollverlust. Verbindungen, die ein Mensch inhaltlich nicht machen würde, wie z. B. zwischen Funk [Fụnk] und Funk [faŋk] werden von der Maschine geschlossen. So entsteht eine visuelle und inhaltliche Gestaltung, die sich auf einer Achse zwischen Ordnung und Chaos bewegt - wo, bestimmt zu einem gewissen Teil der Computer.

Dass sich eine Maschine oft nur bedingt kontrollieren lässt, demonstrieren die drei live, indem sie ihren Vortrag vom Rechner aufzeichnen und im Hintergrund ein Buch setzen lassen. Durch die Audioeingabe übers Mikrofon wurden allerdings nur Fragmente aufgezeichnet – Was entsteht, ist ein abstraktes Gedicht, das die drei "selber so niemals hinbekommen hätten." Das Scheitern der Perfektion führt - wie so oft - zum wirklich Interessanten.

rokfor.ch

September 13, 2015Keine Kommentare

Interessante Veranstaltungen im September

Aller guten Dinge sind drei, zumindest was Designveranstaltungen Ende September in der Schweiz betrifft ...

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Los geht’s am 18. September: Während drei Tagen findet die Tÿpo in St. Gallen statt. Werner Jeker, Hahn & Zimmermann, Susana Carvalho und Kai Bernau, Boris Kochan und viele mehr sprechen am Freitag und Samstag über Schrift und zum Thema "Tempo". Am Sonntag gibt es Führungen im Sitterwerk durch die Kunstbibliothek, das Werkstoffarchiv, das Kesselhaus Josephsohn und das Atelierhaus.

 

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Direkt danach, am 21. September findet die AGI Open in Biel statt. Die Konferenz wird jährlich organisiert und bietet ein Programm, das sich sehen lässt: Peter Biľak, Ruedi Baur, Paula Troxler und Joost Grootens sind nur ein paar der hochrangigen Sprecher.

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Und vom 26. September bis 4. Oktober sind wieder Meisterwerke der Plakatgestaltung in Luzern zu sehen: Weltformat geht in die siebte Runde. Dieses Mal auch mit besonderem Augenmerk auf junge Designerinnen und Designer aus Süd Korea. Neben der Ausstellung finden diverse Veranstaltungen wie Vorträge, Workshops und der Grafikbazar statt.

Der Eintritt ist frei.

Mai 30, 2015Keine Kommentare

Die wahrscheinlich angenehmste Art der Schriftlizensierung

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Typedesigner haben ein ähnliches Problem wie Musiker: hinter ihren Werken steckt eine Menge Arbeit, jedoch können einzelne Songs respektive Fonts nur für einen Betrag, der einen Bruchteil des Aufwands deckt, verkauft werden. Wenn dieser Bruchteil auch nicht bezahlt wird, sondern Musik und Schriften illegal verbreitet werden, ist es unmöglich für die Künstler und Designer zu überleben. Jedoch sind Grafikdesigner selten bereit, eine Schrift zu kaufen, bevor sie sie getestet haben – verständlicherweise.

Nun wurde ein neues System der Schriftlizensierung entwickelt: Fontstand. Es handelt sich dabei um eine kostenlose App zum Testen, Mieten und Kaufen von ausgewählten Schriften. Peter Biľak (Typotheque) und Andrej Krátky haben Fontstand gegründet, Ondrej Jób hat das Interface gestaltet.

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Die Schriften müssen nun nicht mehr zwingend für eine zeitlich unbegrenzte Nutzung und damit zum vollen Preis lizensiert werden, sie können jetzt monatsweise gemietet werden. Der Preis beträgt dabei nur 10% des Kaufpreises. Die Lizenz kann im nächsten Monat verlängert werden und es gibt die Möglichkeit, die Schriften für einen kleinen Aufpreis im Team zu teilen. Nach zwölfmonatiger Miete (die nicht fortlaufend sein muss) darf der Nutzer die Fonts zeitlich unbegrenzt einsetzen und archivieren. Während der Installation ist natürliche eine Internetverbindung nötig, danach kann auch offline gearbeitet werden, die Schriften werden im System installiert. Somit können die Fonts bequem in einem beliebigen Layoutprogramm genutzt werden.

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Die Schriften können auch mit einer Lizenz auf mehreren Computern genutzt werden, jedoch nicht gleichzeitig. Wer sich auf einem zweiten Rechner mit derselben Registrierung einloggt, wird automatisch auf Rechner 1 ausgeloggt. Die lizensierten Fonts werden auf den zweiten Computer übertragen.

Wer vor der Miete unverbindlich testen will, kann die Schriften aus der Bibliothek für eine Stunde kostenlos ausprobieren. Dabei ist es nicht erlaubt, die Gestaltung zu drucken oder ein Pdf zu exportieren. Wie ein Wasserzeichen auf Layoutbildern wird bei den Testfonts das F durch das Fontstandsymbol ersetzt. Innerhalb von 24 Stunden können maximal 10 Schriftschnitte getestet werden.

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Die Schriften können nach verschiedenen Kriterien wie Foundry, Art, Erscheinungsdatum aber auch “Well-kept secrets” gesucht werden. Was dieses Tool nicht bietet, ist eine ausführliche Vorschau – es lädt ja auch zum selber testen ein – Specimens der Schriftfamilien sind jedoch über die verlinkten Anbieter abrufbar.

Momentan sind 21 Foundries auf Fontstand vertreten. Sie alle publizieren nur Schriften hoher Qualität, was eine angenehme Alternative zum Massenangebot der grossen Fontplattformen ist. Weitere Foundries werden eingeladen teilzunehmen, die Auswahl wird aber bewusst überschaubar gehalten.

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Webfonts können nicht über Fontstand gemietet oder gekauft werden, dafür stehen andere Anbieter oder die Foundries selber zu Verfügung.

Auf der Typo Berlin 2015 hat Peter Biľak Fontstand präsentiert, das Video dazu gibt es hier.