SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015
(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

Tempo: ein zentraler Aspekt für jede/n Gestalter/in und jeden Kunden; wie lange dauert die Konzeption einer Website? Wieviele Tage für den Entwurf eines Logos? Wann ist die Broschüre fertig? Am liebsten gestern ... Tools werden immer effizienter, Prozesse schneller, Budgets knapper. Hast du Zeit? Nein, heute nicht, ... und morgen ... - Wir haben die Zeit an die grauen Herren verloren. Und bis dieser Blogartikel online ist, ist die Tÿpo St.Gallen schon wieder vorbei und die Welt hat die schrägsten Fotos und witzigsten Quotes der vergangenen drei Tage längst geliked und retweeted.

Die Kommunikationskanäle stehen jedem offen, noch nie war es so leicht seine Gedanken einem weltweiten Publikum mitzuteilen. Aber wie können wir aus den immer höher wachsenden Bergen von Publikationen noch Produkte mit Qualität erkennen? "Durch den Inhalt." sagt Bernd Kuchenbeiser. Nur wenn es eine Botschaft gibt, die uns berührt, behalten wir sie auch in Erinnerung. Und wo ist Momo? Auf der Bühne: Dafi Kühne lässt sich nicht von automatisierten Prozessen beeindrucken: Er nimmt sich die Zeit, die er braucht für seine handgemachten Plakate und gibt uns Farbe zurück.


Bernd Kuchenbeiser

Kuchenbeiser studierte zuerst Musik, dann Kommunikationsdesign. Im Musikstudium sei sein visueller Output stärker gewesen als der akustische, daher hat er das Fach gewechselt. In seiner aktuellen Gestaltung ist zwar Musik nicht mehr zu hören, aber nach wie vor zu spüren: fein abgestimmte Tonalitäten, spannende Rhythmen, klare Kompositionen prägen seine Werke.

Kuchenbeiser liebt Bücher, vorzugsweise reduziert auf schwarz und weiss. „A good book" ist eine Webgalerie, auf welcher er ein Archiv “guter” Bücher angelegt hat und hinterfragt, was ein gutes Buch überhaupt ausmacht. Er liebt auch Indexe und er liebt Listen. Jedes seiner gestalteten Bücher hat er nach einer Struktur konzipiert die klar, aber nicht banal ist. “Gestaltung ist ein Versprechen,” sagt er, “der Inhalt muss dieses Versprechen auch halten.”

kuchenbeiser.de


Dafi Kühne

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Der jüngste Sprecher des ersten Konferenztages arbeitet mit der klassischsten Methode: Dafi Kühne setzt Text aus Holz- und Bleilettern, schneidet Linol und Karton und legt all das, und was ihm zum richtigen Zeitpunkt sonst noch in die Finger kommt, unter die Druckpresse. Das können auch ein Tischtennisnetz oder magnetische Plastikbuchstaben sein und wenn diese im Druck seitenverkehrt erscheinen, nutzt er eben ein J um ein L zu erhalten. Seine Plakate sind nicht nur ästhetisch sondern auch intelligent und witzig. Baby ink twice!


Hahn & Zimmermann

SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015
(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

In ihrer gemeinsamen Diplomarbeit an der HKB Bern haben sie Daten über sich und ihre Arbeit gesammelt, ausgewertet und visualisiert: von B und C. Danach haben sie ihr gemeinsames Büro Hahn und Zimmermann gegründet und machen seit acht Jahren immernoch dasselbe: Sammeln, Auswerten, Visualisieren. Sogar wenn ihnen komplett freie Hand gelassen wird, wie für ein Plakat für die Soirée Graphique, erstellen sie eine Infografik: in diesem Fall eine Übersicht der Gestaltungsmethoden aller Plakate für die Soirée Graphique zwischen 2008 und 2014. Auch die Inhalte ihres Vortrags haben sie passend zum Konferenzthema nach Projektdauer sortiert und als Balkendiagramm dargestellt. Das ist aber auch das einzige konventionelle Diagramm, das in dieser Stunde zu sehen ist. Auf immer wieder neue Art visualisieren die beiden Designerinnen Inhalte nicht nur verständlich sondern auch unterhaltsam.

Im Projekt FAQ – Frequently Asked Questions – sammeln sie häufig gestellte Fragen und lösen diese vom Kontext, z. B. "How do I remove a friend?", “Warum verschwinden meine Kontakte?” oder “Wo finde ich die Suche?" In einem Postkartenbuch zusammengefasst, können die Fragen herausgetrennt und von der digitalen in die reale Welt geschickt werden. Die Fragen der Masse werden zu persönlichen Fragen, sie regen zur philosophischen Auseinandersetzung an.

hahn-zimmermann.ch


Tag II der Tÿpo St.Gallen steht im Namen der Technik. Die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine ist in aller Munde: Roboter sollen zukünftig nicht nur in der Produktion sondern auch in der Pflege eingesetzt werden, sie kaufen für uns ein und steuern unsere Fahrzeuge, sie optimieren Prozesse und beschleunigen sie – wo wir wieder beim Thema Tempo wären…

 

François Chastanet

Chastanet

Nicht viel aus Geschwindigkeit machen sich jedoch die von François Chastanet porträtierten Kalligrafen in China: Sie nutzen den öffentlichen Raum als Grundfläche für ihre Gestaltung. Dabei dient der kreative Prozess allein dem Selbstzweck: In dieser chinesischen Version der Streetart gibt es keine Auflehnung, die Texte sind “neutral” (meist Gedichte), die Spur auf dem Boden verschwindet von alleine wieder, es wird mit Wasser geschrieben. Inmitten der Grossstadt lassen sich die Kalligrafen nicht von der Hektik des Alltags beeindrucken. Während alles nach vorne strebt, gehen sie rückwärts um von oben nach unten Zeichen um Zeichen aneinander zu reihen. Meistens ist der Anfang ihres Textes schon verblasst, noch bevor sie ihn fertiggeschrieben haben. Der Weg ist das Ziel, das Tempo spielt keine Rolle.

francoischastanet.com


Thilo von Debschitz

von-debschitz

Aus China zurück nach Europa … Thilo von Debschitz nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die Weimarer Republik und in die Welt des Dr. Fritz Kahn. Kahn ist der Schöpfer faszinierender Infografiken, die Anhand von Landschaften und Maschinen anatomische Prozesse auf unterhaltsame und für Laien verständliche Art sichtbar machen. So stellte er etwa die Verarbeitung von Bildern im Auge und Hirn als Kino dar oder den Stimmapparat als Orgel. Der Mensch wird als Maschine erklärt, die einfach genug ist, dass er sie selbst verstehen kann.

q-gmbh.de


Kai Bernau

SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015
(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

bernau

Von der Vergangenheit auf in die Zukunft: Für das Sandberg Institut haben Carvalho und Bernau zusammen mit dem Designbüro Lust die parametrische Schrift Bill konzipiert. Bill ist mehr als ein Schriftentwurf, Bill ist ein System, ein Gerüst, welches der Kreation einer beliebigen Anzahl Schriften zugrunde liegt. Jeder Student und jeder Angestellte kann seinen eigenen Font im Browser gestalten und herunterladen. Die Fontproduktion wird somit jedermann zugänglich gemacht, die Maschine erlaubt ein Rendering in Echtzeit und in kürzester Zeit einen Output, dessen Umfang analog so niemals möglich wäre.

Auch für Octavo Publicaties erarbeiteten Carvalho und Bernau ein System, das clever genug ist, dass die Umsetzung dem Computer überlassen werden kann. Das Resultat ist ein visueller Rahmen für die Edition und eine individuelle Gestaltung für jedes Buch. Über ein InDesign-Plugin kann der Verlag das Layout von Neuerscheinungen selbst generieren. Aufgrund des vorgegebenen Systems wird jeder Band in die Reihe passen. Das Gestaltungsprinzip für alle weiteren Bände ist klar, die Umsetzung automatisiert, Kosten werden gespart.

carvalho-bernau.com


Rokfor

SCHWEIZ TYPO ST.GALLEN 2015

(PHOTOPRESS/Typo St.Gallen)

Eine Redakteurin, ein Grafiker und ein Programmierer, 3 Monitore, 2 Rechner, 1 Mikrofon. Und was machen die? Bücher? Die Frage stellt sich eher nach dem wie, und das ist auch das Spannende an der Arbeit des Trios. Sie sezieren Texte um diese anschliessend neu zu ordnen und generieren Layouts anhand von Algorithmen.

Ab einem gewissen Punkt übergeben sie also das Zepter an die Maschine und akzeptieren damit ihren eigenen Kontrollverlust. Verbindungen, die ein Mensch inhaltlich nicht machen würde, wie z. B. zwischen Funk [Fụnk] und Funk [faŋk] werden von der Maschine geschlossen. So entsteht eine visuelle und inhaltliche Gestaltung, die sich auf einer Achse zwischen Ordnung und Chaos bewegt - wo, bestimmt zu einem gewissen Teil der Computer.

Dass sich eine Maschine oft nur bedingt kontrollieren lässt, demonstrieren die drei live, indem sie ihren Vortrag vom Rechner aufzeichnen und im Hintergrund ein Buch setzen lassen. Durch die Audioeingabe übers Mikrofon wurden allerdings nur Fragmente aufgezeichnet – Was entsteht, ist ein abstraktes Gedicht, das die drei "selber so niemals hinbekommen hätten." Das Scheitern der Perfektion führt - wie so oft - zum wirklich Interessanten.

rokfor.ch